„Singsang“ und „Element“

 

Kein gewissenhafter  Autor, der nicht mindestens einmal im Leben verzweifeln dürfte über der Frage, ob seine Texte elementar sind oder Singsang; Ernst Jünger hat das Problem gelöst, indem er elementaren Singsang schrieb. So jedenfalls scheint es mir – ein und derselbe Text von ihm kann mir heute der Schlüssel zur Welt sein und morgen eitles Zeug. Dabei scheint seine Bedeutung gar nicht so sehr auf literarischem Gebiet zu liegen: Es gibt wohl keinen Zweiten in Deutschland, der dieses ganze Jahrhundert über so sehr er selbst geblieben ist, der niemandem auch nur ein bisschen nachgelaufen ist, nicht Weimar, nicht Hitler, nicht Nachkriegsdeutschland. Dabei hatte er fast nie Geld. Aber im November 1933 hat er Berlin für immer verlassen, das Leben auf dem Land war nicht teuer, es gab immer einen Gemüsegarten und eine fleißige Ehefrau, und es gab immer Gönner, Menschen, die beeindruckt waren von diesem Anarchen und Aussteiger, der buchstäblich von den Elementen sang. Es gibt die Jünger-Jünger auch heute noch, in nicht geringer Zahl. In vielen Kulturen findet man diese verehrte Figur, die um höherer Dinge willen der Gesellschaft den Rücken gekehrt hat und die Ruhm erwirbt, indem sie auf Ruhm verzichtet; in Indien sind es die Sanyassin, im älteren Islam die sufischen Qalandar, im alten Griechenland die Philosophen; im mittelalterlichen Christentum sind es die Mönche. Ernst Jünger ist kurz vor seinem Tod in die katholische Kirche eingetreten – für einen derart neuplatonischen Menschen eine Maßnahme von hoher Konsequenz – , und alljährlich pilgert die Jünger-Gesellschaft um den Palmsonntag ins Kloster Heiligkreuztal.

 

Veröffentlicht am 5.3.2018.