„London“ und „Baumwolle“
Rule the waves: Großbritannien hat die Welt beherrscht, indem es die Wellen, sprich: die Verkehrswege beherrscht hat – nicht anders hat schon das Römische Reich funktioniert, wo Seeräuber zum ersten Mal systematisch verfolgt wurden und wo die Straßen so gerade wie möglich angelegt waren, damit die Boten auch nachts reiten konnten und das Militär rasch vorankam. In der modernen Welt zählt freilich eher die Beherrschung des Warenverkehrs. Nichts anderes strebt heute China an; die Parallelen zu den historischen Imperien sind frappant. Überall in Afrika und Asien werden mit chinesischem Geld Häfen und Eisenbahnlinien gebaut. Oft folgen diese den alten, verrosteten Trassen der Kolonialzeit – so in Äthiopien, dessen Hauptstadt Addis Abeba seit einem guten Jahr wieder durch eine Schiene mit dem 700 km entfernten Hafen in Djibouti verbunden ist; bis dahin gab es nur eine einzige Straße, die fast den gesamten Außenhandel eines Landes von 90 Millionen Einwohnern tragen musste und entsprechend durchgefahren ist. Vor zwei Wochen wurde die 472 km lange Strecke von Nairobi zum Hafen Mombasa eröffnet. Innerafrikanische, grenzüberschreitende Strecken werden folgen – ein völliges Novum. Auch wenn die Ausländer den Hauptprofit daraus ziehen werden, auch wenn sie den afrikanischen Boden aussaugen werden, muss das doch ein Segen sein für die Wirtschaft und also die Menschen; denn ohne Infrastruktur gibt es keinen Fortschritt. Auch in dieser Doppelgesichtigkeit liegt eine Parallele zum Kolonialismus des 19. Jahrhunderts. Wir Europäer haben lange, und aus guten Gründen, nur seine üblen Seiten gesehen, die abgehackten Hände in Belgisch-Kongo, den Opiumkrieg, den Genozid an den Herero. Aus schlechtem Gewissen – und wohl auch weil die afrikanischen Regierungen es verboten hätten – haben wir nichts unternommen, was auch nur von ferne hätte kolonialistisch aussehen können; wir haben nicht Eisenbahnen gebaut, sondern Entwicklungshilfe gezahlt, oft nur kurzfristige Hilfe, mit der wir nicht nur die Hungernden genährt haben, sondern auch die Diktatoren.
Geschrieben am 16.6.2017.