„Gruppen von Schülern“ und „Sehgewohnheiten“ (gefunden in der FAZ vom 30.5.2017)

 

Im vergangenen Jahr wechselte meine Tochter aufs Gymnasium. Nach einigen Wochen, auf dem ersten Elternabend, erfuhren wir, dass die Mädchen sich nun einigermaßen kennengelernt haben, nicht aber die Jungen, die, wann immer es geht, in ihre Handys hineinverschwinden. In der Türkei nennt man solche Jungen „Rücken“, eben weil das alles ist, was man von ihnen noch zu Gesicht bekommt. Mädchen mögen nicht ganz so süchtig sein; aber auch ihre Kindheit endet mit dem ersten Smartphone.

Es sei dahingestellt, was daran gut und was schlecht ist; wer weiß das schon. Wahrscheinlich ist Kulturkritik immer richtig und immer falsch: Man verliert etwas, und man gewinnt etwas. Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man, wie ich es gerne tue, zum großen Schlag ausholt und sagt: Früher, da gab es noch Physiognomien, Bernstein, Furtwängler, Max Ernst, sogar Rudolf Steiner – gegen die Heutigen sehen die allesamt aus wie Sitting Bull gegen seine gedemütigten Nachfahren; früher, da wurde noch gedacht und jeder hatte seinen Gott, Adorno, Luhmann, Foucault; früher, da gab es noch Utopien und Träume, Liebe und Kampf – – Darf man denn so reden? Unbedingt! Wer soll es denn sonst tun, wenn nicht die Alten?

Ich habe in meiner Jugend Menschen gekannt, deren ganzes Sein bestimmt war von Goethe, Schiller, Mörike; Menschen, die darauf Wert legten, niemals eine Plastiktüte besessen zu haben, Menschen, die die Moderne hassten. Das waren keine Vorbilder – natürlich und sinnvollerweise teilte ich die Sehgewohnheiten meiner Mitschüler – , aber sie gaben mir eine Anschauung davon, dass man auch ganz anders sein kann als wir Jungen; und dass man immer nur das Kind seiner Zeit ist.