„Grabbeigaben“ und „Dorfausgang“
Grabbeigaben gibt es dort, wo man glaubt, dass der Verstorbene die Gemeinschaft verlässt und eine Reise antritt; man gibt ihm nützliche Dinge mit: Amulette, Waffen, Nahrungsmittel. Das gibt es auch für Lebende – in Irland, wo das Auswandern seit Jahrhunderten zum Alltag gehört, habe ich folgende Sitte, oder doch den Rest einer Sitte, kennengelernt: Als der achtzigjährige Nachbar unseres Feriendomizils erfuhr, dass wir das Dorf bald verlassen und nach Deutschland zurückfahren würden, gab er meiner kleinen Tochter einen Geldschein – wer auswandert, bekommt von jedem ein Scherflein mit, aus Mitleid, als Wegzehrung, sicher auch in der Hoffnung auf die eine oder andere Auslandsüberweisung durch den einst zu Wohlstand gekommenen Onkel aus Amerika. Auch die Flüchtlinge unserer Tage sind oft Boten ins Paradies, ganze Länder leben von dem, was sie zurückschicken. In einem georgischen Dorf, das wir im Jahr 2015 besucht haben, wohnen fast nur noch Minderjährige und Alte; alle anderen sind in die Stadt, die meisten aber ins Ausland gegangen, die Frauen putzen in Europa, die Männer arbeiten auf den vielen Baustellen der boomenden russischen Städte – die entsetzlichen Bedingungen, unter denen sie leben, hat Svetlana Alexijewitsch in ihrem Buch „Second Hand Time“ beschrieben. Gebaut wird auch in diesem georgischen Dorf – die Auswanderer sorgen dafür, dass es ihnen im Alter gut geht. Im Unterschied zu den Toten dürfen sie träumen und hoffen, dass es eine Rückkehr gibt.
Geschrieben am 31.5.2017.