„Automatisierung“ und „Einwohnerin“

Die Automatisierung der Hausarbeit nach dem Krieg hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Frauen sich aus den gesellschaftlichen Zwängen haben lösen können, in denen sie in anderen Weltgegenden noch stecken; was früher die Hausfrau oder gar das Dienstmädchen erledigt hat, wird heute von Waschmaschine, Zentralheizung, Mikrowelle übernommen. Seitdem können Frauen selbst Geld verdienen gehen und sich von ihren Männern scheiden lassen; und die Ehe ist endlich das, was sie sein sollte, nämlich ein Vertrag unter Gleichen. Nun wäre es mit der Automatisierung sicher nicht getan gewesen; ohne die Pille wäre es kaum gegangen; und wohl auch nicht ohne das Christentum, das, wie Nietzsche sagt, die Schwachen stärkt und die Starken schwächt. Es gibt weitere europäische Besonderheiten; Asfa-Wossen Asserate, der äthiopische Prinz im deutschen Exil, bemerkte einmal, Europa sei die einzige Weltgegend, in der die Männer gelernt haben, Frauen überhaupt so etwas wie eine Wertschätzung zukommen zu lassen – seit dem ritterlichen Minnesang nämlich: er habe die Frau zur Dame stilisiert, welcher höflich zu begegnen ist.[1]

Umgekehrt gibt es Emanzipation aber auch in Asserates Geburtsort Addis Abeba, wo weder die Automatisierung noch die Ritterlichkeit sehr verbreitet sind. Dort lernte ich im vergangenen Jahr eine Frau kennen, die jahrelang als Krankenschwester hart gearbeitet und genügend Geld angespart hat, um ihrer Familie ein Stück Land und ein Haus kaufen zu können. Damit habe sie sich, sagt sie, aller Verpflichtungen entledigt; nun, mit etwa 35 Jahren, sei sie ein freier Mensch, und sie wolle ihr Leben genießen. Sie lebt allein in der Stadt, ihr einziges Kind wird von der Familie versorgt. Sie kleidet sich gut, geht aus und hat ab und zu Affären, meist mit Europäern, weil die weniger kompliziert sind als die oft noch sehr traditionellen Landsleute, und weil Europäer irgendwann auch wieder nach Hause gehen (und vielleicht hofft sie auch, von einem solchen eines Tages mitgenommen zu werden).

Sie hat mich an die sechziger und siebziger Jahre erinnert, an die sexuelle Revolution, an Frauen wie Uschi Obermaier oder die jüngst verstorbene Anita Pallenberg. Vielleicht eine Vorbotin. Vielleicht geschehen gewaltige Umbrüche in Afrika; ein Indiz dafür mag in der Geburtenrate des Kontinents liegen, die in den letzten 35 Jahren um 29 Prozent gesunken ist.[2]

 

Geschrieben am 24.6.2017.

 

[1] Asfa-Wossen Asserate, Manieren. Frankfurt am Main 2003. Genaueres bei Georges Duby, Das höfische Modell, in: Geschichte der Frauen Bd. 2: Mittelalter, hg. von Christiane Klapisch-Zuber, Frankfurt am Main (Zweitausendeins) 2006 (Ersterscheinung dt. 1994), S. 265-282.

[2] Der Spiegel Nr. 26/22.7.2017, S. 64.