„Signal“ und „Forderungen“ (gestochen in der FAZ vom 2.6.17)

 

Ein Signal ist ein Zeichen, das man nicht falsch verstehen kann. Ist die Ampel rot, so darf man die Straße nicht überqueren. Das kann sehr langweilig sein; trotzdem wird man in Deutschland auch sonntags, wenn kaum ein Auto fährt, die Menschen brav an der Ampel stehen sehen, wie das Gesetz es befiehlt – „brav“ natürlich nicht wie die Spartaner auf den Thermopylen, nicht in dem ursprünglichen Sinn des Worts, der im englischen und französischen „brave“ noch lebendig ist und im Deutschen ja auch gar nicht mehr lebendig sein kann, weil unsere Vorfahren ihre Tapferkeit in den Dienst einer bösen Sache gestellt haben. Das Wort „Brav“, das im 19. Jahrhundert noch weitere Bedeutungen wie „anstellig,“, „brauchbar“, „redlich“, „rechtschaffen“ trug[1], wird im Grunde nur noch ironisch verwendet, um eine sinnlose oder gar lächerliche Unterwerfung unter das Gesetz oder die herrschenden Sitten zu bezeichnen. Heute muss man frech sein – eine Forderung, die einst von der Pädagogik, heute aber vor allem von der Textilindustrie ausgesprochen wird und der alle brav folgen. Wogegen sie an der Ampel immer noch stehenbleiben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[1] J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Nachdruck der Erstausgabe (München 1999), hier: Bd. 2 von 1860.